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Ergonomie im Home Office

(Lesezeit ca. 8 min.)

 

In der aktuellen Lage sehen sich viele Menschen mit der Situation konfrontiert von einem Moment auf den anderen im Home Office zu arbeiten. Hier fehlen die meist optimalen und gut eingestellten Arbeitsgrundlagen des normalen Büros. Dieser Beitrag soll einen Einblick geben in die Möglichkeiten der heimischen Arbeitsplatzgestaltung und Impulse für gesundes Arbeiten von Zuhause aus.

 

Welcher Arbeitsplatz ist der Beste?

Je nach Größe des Wohnraumes und Ausstattung der Räumlichkeiten gibt es vielfältige Möglichkeiten den Heim-arbeitsplatz anzulegen. Ausschlaggebend sind insbesondere die Rahmenbedingungen, die für das Arbeiten nötig sind. Unabdingbar sind meist der nötige LAN Anschluss für eine stabile Internet-verbindung oder die Nähe zum WLAN Netzwerk. Manchmal auch ein stationärer PC und Platz für Unterlagen, die ausgebreitet werden müssen. Oder auch die Notwendigkeit Arbeit einmal „liegen lassen zu können“, ohne dass der Rest der Familie Saftflecken darauf hinterlässt oder sie schnell mal von kleinen Künstlern für kreative Kunstwerke genutzt werden.

 

Gerade bei sitzenden Tätigkeiten lautet das Motto: Soviel wie möglich in Bewegung bleiben! Dafür bietet der Arbeitsplatz Zuhause vielfältige Varianten. So könnte der Küchentisch geeignet sein um mit platzraubenden Unterlagen zu arbeiten, der kleine Schreibtisch im Dach die Chance für kreatives Entwickeln von Projektideen bieten und das Stehen in einem schön gestalteten Wohnungs-bereich für einen Video Call am besten passen.

Unser Körper braucht Bewegung! Ein Grundprinzip des Körpers lautet: „Use it or loose it“. Alle Haltungen und Bewegungsabläufe, die wir über lange Zeiträume von Monaten und Jahren nicht mehr nutzen, werden sukzessive abgebaut oder Bewegungsmuster gehen schlichtweg verloren. Hierzu zählt insbesondere die Bewegungs-bandbreite von der tiefen Hocke bis zur vollständigen Streckung, die bei vielen Menschen nur noch eingeschränkt möglich ist.

 

Das Home Office bietet eine tolle Chance, Zuhause umzusetzen, was uns im Büro oft nicht möglich erscheint.

 

Fakten vs. Praxis

Nicht jeder hat einen ergonomisch verstellbaren Schreibtischstuhl im Home Office oder gar einen höhenverstellbaren Tisch. Wie soll ich mir nun also meinen Arbeitsplatz einrichten?

Ausgangspunkt ist die Sitzhöhe des Stuhls. Der Winkel meiner Sitzhaltung sollte im Knie etwas über 90° Grad liegen, damit der Blutfluss nicht unnötig eingeschränkt oder gar abgedrückt wird. Aus der Sitzhöhe

ergibt sich nun die optimale Höhe des Tisches. Hier sollte ich beim aufrechten Sitzen die Unterarme locker auf die Tischfläche legen können, ohne die Schultern dafür hochziehen zu müssen. Praxistipp: Tische, die dafür zu niedrig sind, können vorübergehend durch das Unterlegen von Hölzern oder anderen geeigneten Materialien erhöht werden. Achten Sie hierbei stets auf die Standsicherheit des Tisches!

In den seltensten Fällen sind im häuslichen Umfeld die Tische zu hoch. Hier können Unterlegkissen auf der Stuhlsitzfläche Abhilfe schaffen. Und wem dann die Füße in der Luft baumeln, der kann sich einen kleinen Fußschemel oder alternativ eine stabile Kiste unter den Tisch stellen um die Füße darauf abstützen zu können.

 

Der Bildschirm sollte in etwa wie ein vor dem Körper gehaltenes Buch geneigt sein und der Blick der Augen im ca. 30° Winkel auf die erste Fließtextzeile treffen. Meistens ist der Bildschirm viel zu hoch eingestellt, da man automatisch davon ausgeht, von einem hohen Bildschirm „aufrecht gehalten zu werden“. In der Praxis sinkt jedoch die Haltung, um so länger man sitzt, in sich zusammen, sodass der Blick immer mehr nach oben gerichtet werden muss. Viele bekommen so im Laufe des fortschreitenden Arbeitstages Konzentrationsschwierigkeiten und Kopfschmerzen, da die Versorgung des Gehirns mit wichtigen Nährstoffen verschlechtert wird.

Praxistipp: Für einige Menschen stellt das Tragen einer Gleitsicht- brille eine Schwierigkeit dar. Hierbei hilft es den Bildschirm tiefer einzustellen und mehr zu neigen. So verringert sich die Über- streckung des Kopfes und entlastet damit die Nackenmuskulatur.

 

Die Arbeitsmittel sollten linear angeordnet sein. Die Nasenspitze zeigt mittig auf den Bildschirm. Unterlagen liegen zwischen Tastatur und Bildschirm, um eine asymmetrische einseitige Haltung zu vermeiden.

Die gleiche Anordnung mit Bildschirm, Maus, Tastatur und Unterlagen wie am Schreibtisch im Büro kann zuhause nicht immer realisiert werden. Erneut eine große Chance Bewegungsvielfalt in den Alltag zu bringen.

Praxistipp: Die Maus kann auch mit der anderen Hand bedient werden! Das glauben Sie nicht? Probieren Sie es aus. Machen Sie eine persönliche Challenge daraus, indem Sie jeden Tag für 5 Minuten die Maus mit der anderen Hand bedienen. Wenn Sie die ersten 2 - 3 Tage üben überstanden haben, wird es täglich besser und nach ein bis zwei Wochen wird es schon ganz gut funktionieren. Dadurch haben Sie ein einseitiges Haltungsmuster aufgelöst und können zum Ausgleich mit der Maus immer wieder einmal die Seite wechseln. Gleichzeitig eröffnen Sie sich eine vielfältigere Arbeitsplatzgestaltung.

Oder Sie verändern die Anordnung von Tastatur und Unterlagen. Vertauschen Sie Unterlagen und Tastatur, je nach Arbeitsablauf. Geben Sie Unterlagen einfach mal auf die andere Seite. Das fühlt sich anfangs seltsam an, weil unser Gehirn gern auf gewohnte Muster zurückgreift.

Bringen Sie soviel wie möglich Abwechslung und Bewegungs- impulse in Ihren Arbeitsalltag. Wenn Sie dies im Home Office trainieren, können Sie sicherlich einiges davon auch im Büro zukünftig verändern. Sie werden sehen wie viel besser es Ihnen damit geht.

 

Das Arbeiten mit einem Laptop bringt neue Herausforderungen und gleichzeitig auch Chancen mit sich. Durch die Verbindung von Tastatur und Bildschirm leidet die Haltung: Der Bildschirm ist zu nah und der Kopf sehr weit geneigt. Gleichzeitig ergibt sich eine höhere Flexibilität, was den Wechsel der Arbeitsplätze angeht. An schönen Tagen

können Teile der Arbeit sogar an der frischen Luft erledigt werden.

Praxistipp: Falls Sie mit Maus und externer Tastatur arbeiten, haben Sie die Möglichkeit den Laptop auf einen stabilen Karton zu stellen um somit den Bildschirm etwas zu erhöhen, oder durch einen externen Bildschirm den Augenabstand zu verbessern.

Während langer Arbeitszeiten am Laptop sind insbesondere Lockerungsübungen für die Brust- und Halswirbelsäule und für die Augen wichtig. Diese sind prinzipiell wichtige Ausgleichsübungen in der sitzenden Tätigkeit, jedoch ist der Bewegungsspielraum am Laptop noch eingeschränkter.

 

Bewegung, Bewegung, Bewegung

Abseits der nüchternen Zahlen ist es oftmals nicht möglich „optimale Vorgaben“ einzuhalten. Zudem hat jeder Mensch individuell unterschiedliche Ausgangslagen in Körperproportionen und Haltung.

Ein Grundprinzip, an dem sich jeder orientieren kann, ist „Die nächste Bewegung ist immer die beste!“. Keine Vorgabe ist dafür geeignet eine Haltung über einen mehrstündigen Zeitraum auszuhalten. In einem weiteren Beitrag werde ich auf die gesunde, bewegte Pause eingehen.

Praxistipp: Sie sollten ca. alle 30 Minuten aufstehen, sich bewegen, strecken und stündlich für 2 - 3 Minuten Lockerungsübungen machen. Zuhause sehen Sie die Kollegen nicht. Probieren Sie es aus, keiner wird verwundert schauen oder komische Kommentare abgeben.

 

Hilfreich ist das oben angesprochene mehrmalige Wechseln des Arbeitsplatzes. Im Optimalfall zwischen der tiefen Hocke (zB. sortieren von Unterlagen am Boden), dem Sitzen am Schreibtisch (zB. für typische Büroaufgaben) bis hin zum Stehen (zB. zum

telefonieren oder für Online Meetings). Um so häufiger die Arbeitshaltung verändert wird, um so gesünder ist dies für den Körper.

Praxistipp: Gerne darf der oberste Teil eines halbhohen Regals oder einer Kommode vorübergehend freigeräumt werden um den Laptop abzustellen für eine Arbeitseinheit, einen Video Call im Stehen oder um die To Do Liste für die nächsten Arbeitsschritte zu schreiben.

 

Hierbei gilt das gleiche Prinzip: Die Unterarme sollten etwa 90° angewinkelt sein, ohne dass die Schultern zu weit hochgezogen werden oder der Oberkörper nach unten geneigt werden muss.

Ist die Arbeitsfläche zu niedrig hilft es, wenn Sie die Beine etwas in die Grätsche stellen. So kommt der Oberkörper etwas tiefer und sie können nahezu beliebig „die Höhe justieren“. Dies ist übrigens auch für Tätigkeiten auf unterschiedlich hohen Arbeitsflächen in der Küche möglich, wie kochen, schneiden oder spülen.

 

 

 

Arbeitsabläufe bewegt gestalten

Eine Möglichkeit für mehr Bewegung zu sorgen ist es, Telefonate grundsätzlich im Stehen oder sogar (wenn möglich) in Bewegung durchzuführen. Dies verändert übrigens auch über die Haltung den Ausdruck der Stimme und der Gesprächspartner nimmt das Gesprochene klarer war.

Drucker, Ordner oder andere Büromaterialien sollten nicht direkt am Arbeitsplatz stehen. Jeder Weg zum Drucker ist eine willkommene Bewegungspause für den Körper, um so mehr, wenn Sie dazu Treppen steigen müssen.

 

Sitz-/Stehhaltung

Einseitige Haltungen, egal ob im Stehen oder Sitzen, die über einen längeren Zeitraum bestehen, widersprechen dem Prinzip der Bewegung, durch die die wichtigsten Abläufe in unserem Körper funktionieren. Aus meiner persönlichen Sicht sind viele Arbeitsplätze „überoptimiert“, indem sie durch kurze Wege und Hilfestellungen Bewegung verhindern. Dies schwächt unseren Körper.

In einem anderen Beitrag gehe ich auf die aktive, dynamische Haltung ein, die für jede Haltung und Bewegungsausführung die Basis legt.

Praxistipp: Wahrnehmungsübung für eine aktive und dynamische Haltung. Stellen Sie sich aufrecht hin. Spüren Sie die Gewichts- verteilung auf Ihren Füßen. Sie sollten das Gewicht gleichmäßig auf beiden Füßen verteilt haben. Kippen Sie Ihr Becken nach vorne und hinten und finden Sie eine neutrale Mittelposition. Die tiefe Rumpfmuskulatur sollte nun aktiv sein und Ihnen Stabilität geben. Richten Sie den Oberkörper auf und ziehen Sie die Schulterblätter etwas nach hinten. Nun bewegen Sie den Oberkörper nach vorne und hinten, links und rechts. Durch die aktive Haltung im Unterkörper legen Sie die Ausgangslage für die dynamische Bewegung im Oberkörper.

Dies können Sie auch auf das Sitzen übertragen. Die Füße stehen vor dem Stuhl aufgestellt, das Becken findet seine neutrale Mittelposition und gibt durch die aktive Rumpfmuskulatur Stabilität. Der Oberkörper ist aufgerichtet und kann nun dynamisch in jegliche Richtung bewegt werden.

 

Fazit

Bewegung ist die notwendige Basis für Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Bis vor etwa 100 Jahren haben Menschen sich überwiegend körperlich betätigt. Den ersten Bürostuhl gab es erst vor ca. 65 Jahren. Unser Körper ist evolutionär gesehen nicht auf die eingeschränkte und bewegungsarme Gegenwart eingestellt. So ist es unsere eigene Verantwortung durch gesundheitsbewusstes Verhalten für ausreichende und vielseitige Bewegung zu sorgen. Durch das Arbeiten im Home Office erleben wir neue Herausforderungen und gleichzeitig viele Chancen uns unserer Haltung und Bewegung bewusst zu werden. Ich persönlich sehe viele große und kleine Möglichkeiten am Heimarbeitsplatz in Bewegung zu bleiben, da kein festgelegter Büroarbeitsplatz und keine vorgegebene Arbeitsstruktur mein Bewegungsangebot einschränkt.

 

Bewegen Sie sich so abwechslungsreich wie möglich und bleiben Sie gesund!

 

Herzlichst Ihr

 

Michael Reinhardt

Experte des Forum Gesundes Unternehmen www.werte-voller-leben.de

Begleiter von Kulturwandel in Unternehmen

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